Vom Schutz verborgener Kulturdenkmäler - Interview mit Dr. Udo Recker (Teil 2)
Welche interessanten Ausgrabungen gibt es denn aktuell in Hessen?
Wir befinden uns momentan in einer Phase, in der wir durch die Energiewende enorm eingebunden sind und archäologisch kaum noch proaktiv handeln können. Wir bekommen in den letzten Jahren zusätzlich zum bisherigen Aufkommen eine so große Zahl an Bauvorhaben für Windparks vorgelegt, dass die Genehmigungsverfahren all unsere Kapazitäten fordern. Wir müssen bei jedem Bauvorhaben prüfen, ob sich dort an dieser Stelle eventuell zu schützende Bodendenkmäler in der Erde befinden oder befinden könnten, und dann abschließend entscheiden, ob dort ggf. unter Berücksichtigung bestimmter Auflagen Bodeneingriffe erfolgen dürfen oder auch nicht.
Dennoch, wenn wir die Gelegenheit bekommen, eine vorgeschichtliche Brückenkonstruktion, Julius Caesars Militärlager an der Lahn oder frühmittelalterliche Gräberfelder in der Wetterau und im Rheingau zu untersuchen, dann sind das schon ganz besondere Highlights.
Woher beziehen Sie denn ihre Informationen, in welchen Gebieten sich eventuell noch Kulturdenkmäler befinden könnten?
Da gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Möglichkeiten. Wir haben ein seit Jahrzehnten aus verschiedenen Quellen gespeistes Ortsarchiv mit Angaben zu bekannten oder auch vermuteten Bodendenkmälern. Wir greifen bei der Suche nach Bodendenkmälern bspw. auf die Begehung von Ackerflächen oder die Luftbildarchäologie zurück. Mit den so genannten LIDAR-Scans (Light Detection and Ranging) können wir heute sogar Oberflächen erkunden, die unter Wald liegen. Dazu wird der vorhandene Bewuchs, z.B. ein Wald, digital herausgerechnet. Das hat unsere Erkenntnisse zu potentiellen Fundorten exzeptionell nach vorn gebracht. Allerdings – und das ist stets zu bedenken – gewinnen wir immer nur die Erkenntnis, dass dort etwas sein könnte, und nie, dass da mit Sicherheit etwas zu finden ist. Wenn man das wirklich verifizieren will, muss man hinaus ins Gelände und ggf. auch graben. Bei 80 bis 100 Anträgen für Windparks pro Jahr und sieben zuständigen Bezirksarchäologinnen und -archäologen können Sie sich schnell ausrechnen, wann die Kapazitäten erschöpft sind.
Momentan sind wir bemüht, mögliche Standorte von Windkraftanlagen bereits in einem möglichst frühen Planungsstadium geografisch so zu verschieben, dass nach bestem Wissen und Gewissen keine potenziellen Bodendenkmäler beeinträchtigt werden. Auch wenn es da oft zu Verständnisfragen kommt, müssen wir ganz klar Stellung beziehen, dass wir für ein Windrad, welches möglicherweise nur ein paar Jahrzehnte Bestand hat, keine Kulturdenkmäler gefährden können, die möglicherweise bereits mehrere Jahrtausende überstanden haben.
Allerdings – und das ist die gute Nachricht – haben wir durch unser Vorgehen und die uns zu Verfügung stehenden Mittel bei mehreren Hundert Einzelstandorten in den letzten Jahren gerade mal ein einzelnes Windrad ablehnen müssen ohne zugleich nicht tragbare Kompromisse beim Denkmalschutz eingehen zu müssen.
Ihre Behörde hat sicher auch andere Aufgaben als Windräder von links nach rechts zu schieben …
Das stimmt, aber momentan geht es nicht anders, da wir derzeit einen Landschaftswandel in einem Umfang und in einer Geschwindigkeit erleben, wie dies seit Jahrhunderten in Europa nicht mehr der Fall war. Doch wir müssen in der Tat aufpassen, dass wir wesentliche Aufgaben nicht aus den Augen verlieren: Wenn wir keine gezielte Landerforschung betreiben können, sondern immer nur Baumaßnahmen „hinterherhecheln“, dann bleibt vieles unerforscht. Wenn wir bestimmte Phänomene nicht dezidiert überprüfen und Flächen nicht gezielt prospektieren können, also nicht vorgreifend tätig werden, dann verlieren wir die notwendigen Kenntnisse, die für eine Planungssicherheit weiterer Bauvorhaben notwendig sind.
In Hessen gibt es aber auch eine Vielzahl von privaten Firmen, die mit unserer Genehmigung archäologische Untersuchungen durchführen. Deren Arbeit gilt es zu kontrollieren. Und als Landesbehörde behalten uns selbstverständlich vor, entsprechende Untersuchungen auch in Eigenregie durchzuführen. Dabei konzentrieren wir uns auf die großen Vorhaben, vor allem diejenigen Maßnahmen, bei denen wir eine besondere wissenschaftliche Bedeutung sehen. Ich möchte nicht, dass sich die Landesarchäologie in Hessen zu einem reinen Verwaltungsapparat entwickelt, sondern dass das Fachwissen und die grabungstechnischen Fähigkeiten in unserer Behörde gebündelt bleiben.
Geben Sie uns doch bitte ein Beispiel für ein solches Projekt mit großer wissenschaftlicher Bedeutung. Und was genau konnten Sie dadurch an Erkenntnissen gewinnen?
Wir haben durch größere Trassenprojekte in den letzten Jahren über Kilometer hinweg Querschnitte durch das Land dokumentieren können. Wir haben dadurch vieles belegen können, das wir bisher nur vermuten konnten. Auch haben wir gutes altes Lehrwissen, das meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch ich noch aus unserer Uni-Zeit mitgebracht haben, zuhauf über Bord werfen können. Es gab beispielsweise immer die Diskussion, ob frühe Bauernkulturen Räume, die in einer bestimmten Höhe liegen, aufgrund der klimatischen Gegebenheiten nicht mehr besiedelt haben. Wir konnten durch unsere Untersuchungen beweisen, dass dies bspw. so nicht der Fall war.
Welches Gefühl stellt sich denn ein, wenn man aktiv am Umschreiben der Geschichtsbücher beteiligt ist?
Nun, es klingt zunächst spannender, als es wirklich ist. Wir schreiben jeden Tag in der einen oder anderen Form die Geschichtsbücher um. Dazu betreibt man Wissenschaft. Wenn Sie sich ein altes Lexikon anschauen, dann finden Sie darin eine Menge Wissen, das kaum noch mit unserem Wissensstand übereinstimmt.
Aber es gibt doch sicherlich die eine oder andere stolz geschwellte Brust …
Das ist vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt, aber natürlich gibt es Dinge, auf die man gerne zurückblickt. Das gilt umso mehr, wenn man alte Zöpfe abschneiden kann.
Als ich noch bei der Kommission für Archäologische Landerforschung in Hessen tätig war und damit wirklich Zeit für Forschung hatte, war ich intensiv mit der Erforschung mittelalterlicher Glashütten und ihrer Arbeitsweise in Nordhessen befasst. Zusammen mit meinem Team konnte ich damals die bitter bekämpfte These, dass es im 12. Jahrhundert auch so genannte Ein-Ofen-Anlagen gab, durch Grabungsbefunde nachweisen. Der bisherige Kenntnisstand war, dass jede Glashütte nicht nur aus den notwendigen Rohstoffen zunächst Glasmasse herstellte, sondern dieses auch gleich zu Endprodukten weiterverarbeitete. Wir konnten am archäologischen Befund belegen, dass es auch im hohen Mittelalter Hütten gab, die ausschließlich Glasmasse hergestellt haben und diese dann an weiterverarbeitende Orte verbracht wurde.
Was zunächst relativ wenig aufregend klingt, bildet jedoch einen völlig anderen Produktionsprozess ab, der eine Arbeitsteilung und andere Wirtschaftsstrukturen voraussetzt, als bis dahin angenommen. D.h. diese auf den ersten Blick eher marginale Erkenntnis zog weitreichende Konsequenzen im Hinblick auf wirtschaftsarchäologische Fragen, die Organisation der Arbeitswelt in dieser Zeit, den Rohstoffhandel sowie Herstellungs- und Vertriebsstrukturen nach sich. Wir gehen davon aus, dass die Glasmasse in nahegelegenen Klosterwerkstätten weiterverarbeitet wurde. Dort musste man sich nicht dem Risiko des Betriebs eines rund 1.200°C heißen Schmelzofens aussetzen, sondern lediglich die angelieferte Rohglasmasse neuerlich verflüssigen, was bereits mit Ofentemperaturen von rund 800°C möglich ist.
Eine simple Entdeckung wie diese zieht eine lange Erkenntniskette nach sich und verrät uns sehr viel über die Arbeitswelt im Hochmittelalter.
Vom Schutz verborgener Kulturdenkmäler - Interview mit Dr. Udo Recker (Teil 1)
Nächster Teil der Artikelserie:
Vom Schutz verborgener Kulturdenkmäler - Interview mit Dr. Udo Recker (Teil 3)
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Veröffentlicht am 28.06.2018
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