Die Akzeptanz des Imperfekten - Interview mit Anne Harmssen (Teil 3)
Die Akzeptanz des Imperfekten gehört zur restauratorischen Tradition, oder um es in der Kunst des Kintsugi zu formulieren: „die Kunst, das Beschädigte zu umarmen“ …
Oh, das klingt gut (lacht) – ein Restaurator schaut oft zuerst auf die Schäden eines Kunstobjekts. Wenn wir seltsame oder auf den ersten Blick unerklärliche Schäden oder Phänomene an Kunstwerken entdecken, sind wir erst richtig in unserem Element. Aber es stimmt, die Akzeptanz des Imperfekten ist Teil unseres Jobs. Wir wissen, dass wir niemals den Originalzustand genauso wiederherstellen können, wie der Künstler es ursprünglich angedacht hat, und wir akzeptieren den gealterten Zustand. Selbst alte Restaurierungen eines Kunstwerkes verstehen wir oftmals als Teil seiner Geschichte, die bewahrt werden müssen, natürlich nur, sofern diese das Werk nicht in einen unlesbaren Zustand versetzen.
Nach 20 Jahren praktischer Arbeit als Restauratorin und weiteren zehn Jahren in leitender Funktion, gab es einen spektakulären Moment in Ihrer Laufbahn?
In meiner Zeit als Restauratorin beim Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig hatte ich nicht selten einen Rembrandt oder Rubens auf dem Tisch. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich zum ersten Mal das Familienbild von Rembrandt unter dem Mikroskop gesehen habe und den Farbauftrag bewunderte. Jede kleine Feinheit wurde da sichtbar. Eine solch großartige Maltechnik, gibt einem das Gefühl, das alles, was man mit seinen eigenen Händen tut, enorm grobschlächtig ist.
An einem solchen Kunstwerk wie einem Rembrandt zu arbeiten ist ja eine riesengroße Verantwortung. Wie sehr spürt man diese Verantwortung? Hatten Sie je Angst, ein Kunstwerk zu zerstören?
Angst ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ehrfurcht trifft es da schon eher. Wenn man Angst hat, kann man Fehler machen. Aber man setzt sich ja nicht einfach hin und restauriert wild drauflos. Bevor wir tätig werden, untersuchen wir ein Kunstwerk sehr ausführlich. Und einer der riskantesten Arbeitsschritte ist, wenn man das überhaupt so sagen will, nicht das Retuschieren oder Kitten von Fehlstellen, sondern zum Beispiel die Entfernung eines Firnisses von der originalen Malschicht. Aber auch dieser Maßnahme gehen ja lange Testreihen voraus, die dem Restaurator die Sicherheit verleihen, welche Methodik die schonendste für das Original ist. Ich weiß eigentlich immer, wie ich vorzugehen habe, und fange mit kleinen Proben in Randbereichen vom Gemälde an. Wenn bei Restaurierungen heutzutage etwas kaputt geht, handelt es sich eher um das Unvermögen oder die Leichtfertigkeit des Restaurators.
Aber unser Aufgabengebiet geht ja weit über das Restaurieren als solches hinaus. Es gibt Momente, in denen die Gefahr recht hoch sein kann, dass ein Kunstwerk Schaden nimmt. Unsere Zuständigkeit hier in den Restaurierungsateliers umfasst beispielsweise auch das Begleiten von Objekten, wie wir sagen „von Nagel zu Nagel“. Wenn also ein Kunstwerk aus unseren Sammlungen in ein anderes Museum ausgeliehen wird, begleiten wir das Objekt bis zum Bestimmungsort – wenn es sein muss bis nach New York. Der Weg birgt in jeder Hinsicht viele Gefahren, klimatisch, physisch, und natürlich auch die Gefahr eines Diebstahls. Wir sind bei einem solchen Transport immer an der Seite des Objektes und überwachen jede Bewegung, fliegen in Frachtflugzeugen mit, stehen auf dem Rollfeld … Da müssen Sie sich möglicherweise auch gegenüber einem Staplerfahrer durchsetzen können und ein Standing haben.
Was, glauben Sie, könnte es in den nächsten Jahren an bahnbrechenden Möglichkeiten in der Restaurierungstechnik geben?
Es passiert eine ganze Menge in diesem Bereich und ich bin zuversichtlich, dass verschiedenste Technologien auch für die Gemälderestaurierung besser nutzbar gemacht werden können. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir im Bereich der Firnisabnahme möglicherweise auch einmal für bestimmte Fälle auf Lasertechnologie zurückgreifen werden. Restauratoren sind sehr erfinderisch und entwickeln bereits vorhandene Werkzeuge weiter und modifizieren sie für spezielle Aufgabenstellungen am Kunstobjekt. Auch im naturwissenschaftlichen Bereich werden stetig neue Technologien und Lösemittelsysteme entwickelt …
Frau Harmssen, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Vorheriger Teil der Artikelserie:Die Akzeptanz des Imperfekten - Interview mit Anne Harmssen (Teil 2)
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Veröffentlicht am 14.09.2018
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