Die Akzeptanz des Imperfekten - Interview mit Anne Harmssen (Teil 1)
Anne Harmssen ist seit zehn Jahren die Abteilungsleiterin der Restaurierungswerkstätten der Museumslandschaft Hessen Kassel.
Die Restauratorin mit Schwerpunkt Gemälde und Skulpturen arbeitete zuvor 18 Jahre am Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig sowie weitere zweieinhalb Jahre in der Dunedin Public Art Gallery in Neuseeland – wie sie selbst sagt, dem letzten zivilisierten Örtchen der Südhalbkugel vor der Antarktis. Sie gab uns einen wundervollen Einblick in ihre Arbeit, berichtete von der Ehrfurcht davor, einen echten Rembrandt durchs Mikroskop anzuschauen, und zeigte, wie die mitunter zu weit gehenden restauratorischen Eingriffe in der Vergangenheit zu Fehlinterpretationen in der Kunstwissenschaft führen können.
Frau Harmssen, bevor es Sie hierher nach Kassel verschlagen hat, arbeiteten Sie zweieinhalb Jahre als Restauratorin in Neuseeland. Ist das Bild eines Restaurators dort ein komplett anderes? Mittelalterliche Kunst wird dort wahrscheinlich kaum vorhanden sein.
Es gibt schon ein wenig mittelalterliche Kunst, die die Auswanderer seinerzeit mitgenommen haben, vor allem aber sehr viel neuseeländisch-australisch geprägte Kunst aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Spannend fand ich vor allem die Auseinandersetzung mit der Māori-Kunst. Ich habe dort sehr viele Dinge gelernt, die ich hier in Deutschland niemals gelernt hätte. Genau deswegen macht man solche Trips.
Wann wurde Ihnen denn klar, dass Sie Restauratorin werden wollen?
Ich komme aus einem Elternhaus, in dem Kunst und Kultur immer schon eine wichtige Rolle gespielt haben. Mein Großvater war Kunstsammler, insofern gab es schon eine gewisse Prägung in diese Richtung. Er war es auch, der mir den Rat gab, Restauratorin zu werden. Ich versuchte mich in einem Praktikum zunächst als Möbelrestauratorin, allerdings war mir sehr schnell klar, dass ich da keinen Zugang finde. Als irgendwann das erste Gemälde von mir lag, wusste ich sofort, dass das mein Weg sein würde. Ich hatte überhaupt keine Zweifel mehr …
Mittlerweile sind Sie in einer leitenden Position hier in der Museumslandschaft Hessen Kassel. Geben Sie uns doch mal einen Einblick in Ihre Tätigkeit als Leiterin der Restaurierungswerkstätten.
Die Restaurierungswerkstätten kümmern sich in erster Linie um die präventive Konservierung, Bewahrung und Pflege der Kunstsammlungen der Museumslandschaft Hessen Kassel. Meine Aufgabe ist die Koordination unserer neun Fachabteilungen mit 15 Festangestellten, wozu auch die Depotverwaltung und eine Schreinerei, und immer auch ein paar Volontäre und Praktikanten zählen . Für größere Projekte arbeiten wir sehr viel mit externen Restaurierungsunternehmen zusammen, die uns bei unserer Arbeit unterstützen. Auch hier ist eine Menge Koordination notwendig. Außerdem kümmere ich mich natürlich um Dinge wie Kostenverwaltung und die Bereitstellung von Geldern.
Bleibt da noch Zeit, um auch mal selbst Hand anzulegen?
Leider nein. Zum Restaurieren braucht man viel Zeit, Ruhe und vor allem Geduld. Bei all den Terminen hier bleibt dazu kaum eine Lücke. Ich mische mich aber gern ein und werde zu vielen Restaurierungsprojekten um meine Meinung gebeten. Ich weiß, an welchen Objekten die KollegInnen arbeiten und welche Probleme sie im Kopf bewegen. Auf diese Weise nehme ich zumindest gedanklich an den Restaurierungen teil..
Höre ich da ein wenig Wehmut heraus?
Oh ja. Vor allem in den ersten Jahren habe ich die Zeit um Weihnachten und Neujahr immer genutzt, um Kunstwerke noch selbst zu restaurieren. Aber man muss Ruhe haben, um ein Objekt untersuchen und sich in die Schäden und deren Ursachen hineindenken zu können, um ein Konzept erstellen und Tests machen zu können bevor man schließlich Hand anlegt. Diese Zeit hatte ich dann leider immer weniger. Mittlerweile habe ich mich – auch wenn es manchmal schwer fällt – damit abgefunden, dass ich mehr organisiere als restauriere.
Aber das Hineindenken in die notwendigen Arbeiten bei der Restaurierung eines Kunstwerkes ist Teil meines Jobs geblieben. Und gerade das macht mir wirklich Freude, vor allem bei komplexen Themen.
Die Akzeptanz des Imperfekten - Interview mit Anne Harmssen (Teil 2)
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Veröffentlicht am 07.06.2017
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