Astronomie, die älteste und schönste aller Wissenschaften - Interview mit Dr. Karsten Gaulke (Teil 1)
Im Gespräch mit Dr. Karsten Gaulke vom Astronomisch-Physikalischen Kabinett Kassel fliegt die Zeit nur so dahin. Der Astronomie-Historiker nimmt uns mit durch ein paar Jahrtausende Astronomiegeschichte und verrät, warum die Astronomie die schönste aller Wissenschaften ist.
Die Geschichte der Astronomie umfasst zeitlich die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit. Wo fängt man denn da an?
Die Astronomie ist die älteste aller Wissenschaften und beginnt bereits im babylonischen Zeitalter. Damals glaubte man, dass die Planeten Götter sind, deren verschlungene Bewegungen am Himmel man, wenn man den göttlichen Willen erfahren will, nur zu beobachten bräuchte. Die babylonische Astronomie profitierte von zwei unvergleichlichen Vorteilen: Erstens blieb aufgrund des gleichbleibenden religiösen Interesses über Jahrhunderte ein gleichbleibendes Interesse an der Astronomie erhalten, zweitens hat man in Mesopotamien an mindestens 350 von 365 Tagen im Jahr einen klaren Himmel. So konnte über diesen langen Zeitraum eine Unzahl an Beobachtungen auf Tontafeln festgehalten werden. Dieses Wissen kam dann über Alexander den Großen zu den Griechen, die dieses Wissen philosophisch auslegten, und theoretisch verfeinerten.
Ich interessiere mich in meiner Arbeit vor allem für eine spätere Epoche, nämlich für die Astronomiegeschichte der frühen Neuzeit. Ein wichtiger Fokus meiner Forschungen liegt auf der Untersuchung der Verbindung von Politik und Astronomie zur Zeit der Reformation. In dieser Zeit haben ja die Reformatoren den Anspruch des Papstes, der unfehlbare Mittler zwischen Gott und den Menschen zu sein, abgelehnt. Für sie stellte sich dann die Frage, auf welchem Weg Gott dem Menschen dann seinen Willen offenbart.
Melanchthon – einer der wichtigsten Reformatoren – hat damals – eigentlich ganz babylonisch - gesagt: „Ihr müsst in den Himmel schauen, denn die Bewegungen der Gestirne zeigen Gottes Willen.“
Wir beobachten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dass sich bevorzugt die protestantischen Herrscher plötzlich sehr für Astronomie interessiert haben – vor allem natürlich aus astrologischen Gründen. Und Wilhelm IV. – um den es ja hier in unserer Ausstellung in Kassel geht – war nicht nur einer von den oberflächlich Interessierten, sondern gehörte selbst zu den angesehensten praktisch tätigen Astronomen seiner Zeit. Als Herrscher war er lediglich ein kleiner Landgraf, der ein relativ untergeordnetes Territorium im Heiligen Römischen Reich regierte und beispielsweise nichts mit der Gestaltung der Außenpolitik des Reiches zu tun hatte, was den höherrangigen Kurfürsten und natürlich dem Kaiser vorbehalten blieb.
Faszinierend für mich ist, dass Wilhelm IV. anderen Fürsten und sogar dem Kaiser besondere Himmelsphänomene politisch ausgelegt hat und ihm damit eine Art „astrologischer“ Beraterfunktion zukam. Ich versuche, durch meine Quellenstudien verstehen zu lernen, inwieweit diese politischen Auslegungen von den Herrschenden am Ende befolgt wurden. Wenn seine Auslegungen befolgt wurden, hieße das, dass diese Einfluss auf politische Entscheidungen gehabt hätten.
Nun ist spannend, dass Wilhelm IV. zwar an Schicksalsdeutungen glaubte, aber nicht mit allen damals gängigen astrologischen Praktiken etwas am Hut hatte. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Warum erforscht ein solcher Herrscher wie Wilhelm IV. dann das Weltall, was trieb ihn außer der Astrologie noch an? Zumindest in seinen jungen Jahren als Prinz war er mehr Astronom als Herrscher.
Das klingt spannend! Welche Bedeutung wird denn in diesem Zusammenhang Ihrer Sammlung hier in Kassel zuteil?
Wir befassen uns hier mit der tiefergehenden Erforschung der astronomischen Geräte von Wilhelm IV. und seinen Nachfolgern im Zweitraum zwischen 1500 und 1800. Die Sammlung hier ist nicht nur in der Astronomie, sondern auch in der ganzen Naturlehre des 16. und 17. Jahrhunderts weltweit eine der bedeutendsten. Vergleichbares finden Sie nur in Florenz, Paris, London und Dresden..
Was für astronomische Geräte befinden sich denn in Ihrer Sammlung?
Bei uns finden Sie Sekundenpendeluhren, Planetenlaufuhren, Vakuumpumpen, Fernrohre, Mikroskope und Elektrisiermaschinen, aber auch frühe Rechenmaschinen, die Wilhelm IV. zur exakten Berechnung seiner astronomischen Beobachtungen brauchte. Interessant ist, dass Wilhelm IV. durch seine Sternenforschung hier in Kassel einen großen Einfluss auf das Uhrmacherhandwerk hatte, das ihn beim Bau von komplexen astronomischen Geräte unterstützte. Aber auch Goldschmiede und andere Astronomen profitierten von seinem Interesse und seiner Arbeit. Er hat damals den bekannten Schweizer Uhrmachermeister Jost Bürgi nach Kassel geholt, den „Vater der Schweizer Uhrmacherei“, und die erste Uhr mit der Sekunde als Messgröße bauen lassen. Diese Uhr ist hier in Kassel erfunden, konstruiert und gebaut worden. Und auch die gibt es natürlich hier bei uns zu sehen.
Astronomie, die älteste und schönste aller Wissenschaften - Interview mit Dr. Karsten Gaulke (Teil 2)
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Veröffentlicht am 12.10.2018
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